Im Rahmen des »Artist-in-Science-Residence«-Programms (AiSR) von »Kultur einer Digitalstadt« wurden 2023 drei Künstlerresidenzen in Kooperation mit renommierten Darmstädter Forschungsinstituten durchgeführt.
Kooperationspartner sind das Hessische Zentrum für Künstliche Intelligenz (hessian.AI), das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und das European Space Operations Centre (ESOC).
Im Zeitraum von Mai bis Oktober 2023 wohnten drei über ein Bewerbungs- und Juryverfahren ausgewählte internationale Künstler:innen jeweils sechs Wochen im Atelierhaus von Kultur einer Digitalstadt. In dieser Zeit arbeiteten sie an ihren Projekten in Kooperation mit den Wissenschaftler:innen und den vorhandenen und nutzbaren Technologien des jeweiligen Partnerinstitutes. Die Residencies sind von einem umfangreichen Vermittlungsprogramm flankiert: VIP-Tangos (Expert:innenrunden), Open Labs und Präsentationen.
Die künstlerische Jury bestehend aus:
Barbara Struif (ZDF)
Elke Gruhn (Nassauischer Kunstverein WI)
Jeanne Charlotte Vogt (NODE Forum for Digital Arts FFM)
Anita Beckers (Galerie Beckers FFM)
sowie Vertreter:innen der kooperierenden Institute:
Kathrin Göbel (FAIR/GSI)
Wolfgang Stille (hessian.AI)
Daniel Mesples (ESOC)
wählten aus 187 Bewerbungen aus 45 Ländern die folgenden drei Künstlerinnen:
Mona Hedayati (Iran/Kanada) in Kooperation mit hessian.AI
Violeta López López (Spanien) in Kooperation mit FAIR / GSI
Louise Charlier (Belgien) in Kooperation mit ESOC
Weitere Information zu den einzelnen Residencies:
Von links nach rechts Mona Hedayati, Violeta López López und Louise Charlier
Statement der künstlerischen Jury:
»Die Jury war beeindruckt von der großen Anzahl qualitativ ausgezeichneter und künstlerisch wie konzeptionell hochinteressanter Einreichungen für diese innovative Artist-in-Science-Residence. In Zusammenarbeit mit den Vertreter:innen der beteiligten Institutionen wurden solche Bewerbungen ausgewählt, bei denen neben der künstlerischen Qualität auch eine konstruktive, ergebnisorientierte Zusammenarbeit zu erwarten ist und damit auch große Erfolgsaussichten bei der Umsetzung.
Die Stipendiat:innen der Artist-in-Science-Residence 2023 sind Mona Hedayati, Violeta López López und Louise Charlier. Alle drei haben eine langjährige interdisziplinäre künstlerische Praxis. Ihre Projektvorschläge sind von großer Eigenständigkeit und Professionalität. Neben ihrer ästhetischen Kraft ist jedes der Exposés auch eine elaborierte Stellungnahme zum kritischen Zustand des Anthropozäns.«
Stipendiat:innen und kooperierende Institute
Mona Hedayati (Iran/Kanada) in Kooperation mit hessian.AI
Zeitraum: AiSR 10. Mai – 28. Juni 2023
Eröffnung Final View (öffentlich) am 22. Juni 2023
Biografie und Links:
*1985
»Ich bin eine iranisch-kanadische Künstlerin und Forscherin, die an der Concordia University, Kanada, und am Forschungsinstitut für Kunst der Universität Antwerpen, Belgien, im Bereich Forschung und Kreation promoviert. Meine interdisziplinäre Forschungspraxis stützt sich auf Computerkunst, Posthumanismus, Sounddesign und Affektstudien. In meiner jüngsten Arbeit konzentriere ich mich auf die affektive Kommunikation komplexer Erfahrungen, die mit dem Exil verbunden sind, indem ich klanglich-performative Räume konstruiere, um ein sensorisches Verständnis für solche Erfahrungen zu schaffen. Ich habe meine Forschungsarbeit international und in Kanada an Institutionen wie der Slade School of Fine Arts, der Whitworth Gallery der Universität Manchester und der Universität St. Andrews im Vereinigten Königreich, dem Trinity College in Irland, der Kunsthal Extra City in Belgien und dem Agnes Etherington Art Center in Kanada ausgestellt und präsentiert« Mona Hedayati.
Arbeitsvorhaben für den Zeitraum des Stipendiums
»Mein Projekt basiert auf der Arbeit mit einer Datenbank von biologischen Signalen und Atemmustern, die von meinem Körper gesammelt wurden, während ich audiovisuellem Material von traumatischen Ereignissen ausgesetzt war, die mit sozio-politischer Unterdrückung verbunden sind und mit denen ich persönlich zu tun habe.
Durch die Zusammenarbeit mit hessian.AI hoffe ich, eine Strategie des maschinellen Lernens entwickeln zu können, um die Langzeitdatenbank meiner affektiven Marker so zu nutzen, dass die Bibliothek als agile Einheit agieren kann, die sich selbst dynamisch repräsentiert« Mona Hedayati.
Statement Institut:
»hessian.AI erforscht die dritte Welle der KI: Maschinen, die auch erkennen können, wenn sie zum aktuellen Zeitpunkt nichts wissen und keine Schlußfolgerungen treffen können. Umso wichtiger ist analog zu uns Menschen ein lebenslanges Lernen, um mit neuen Situationen umzugehen. Hinzu kommt die Erkennung und der Umgang mit menschlichen Emotionen durch KI, um Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu verbessern. Beide Aspekte adressiert Mona Hedayati in ihrem Projekt auf einzigartige künstlerische Weise.« Wolfgang Stille, CTO hessian.AI
Statement Stipendiatin:
»Entsprechend meiner Doppelidentität beschäftigt sich meine Arbeit mit hybriden west-östlichen Perspektiven: Einerseits denke ich über sozio-technische Assemblagen nach, d.h. über die Einbettung von Technologie in unsere sozialen Realitäten, die ich einrahme, indem ich Menschen und Maschinen als aktive Erkenner und emergente Ökologien innerhalb ihrer erweiterten Umgebung betrachte, die sich durch wechselnde Agenturen und undichte Grenzen ständig erneuern. Als Migrantin aus dem Nahen Osten betrachte ich meine Arbeit als soziopolitische Interventionen, die sich die Kopplung von Mensch und Maschine zunutze machen, um dynamisch-atmosphärische Interaktionen zu schaffen.
Ich fühle mich geehrt, als Artist-in-Science-Stipendiatin ausgewählt worden zu sein, die mit dem Hessischen Zentrum für Künstliche Intelligenz zusammenarbeitet, um das Bewusstsein für die anhaltenden soziopolitischen Ungerechtigkeiten zu schärfen« Mona Hedayati.
Violeta López López (Spanien) in Kooperation mit FAIR / GSI
Zeitraum AiSR: 19. Juni – 02. August 2023
Eröffnung Final View (öffentlich) am 27. Juli 2023
Biografie und Links:
*1993, Spanien
Violeta López López ist eine bildende Künstlerin und Musikerin. Sie hat einen Bachelor-Abschluss in Bildender Kunst sowie einen Master-Abschluss in künstlerischer Produktion an der Universidad Politécnica de Valencia und einen Bachelor-Abschluss in Musik (klassische Aufführung, Oboe)
am Conservatorio Superior de Música de Valencia. Sie wurde mit mehreren Preisen in den Bereichen bildende Kunst, Musik und Poesie ausgezeichnet. In den Jahren 2020-21 erhielt sie das Stipendium für zeitgenössische künstlerische Produktion der Stiftung Castilla y León für ihr Projekt „Contrapoesía Libre“, in dem sie Poesie, Musik, Klang, Grafik und audiovisuelle Medien miteinander verbindet und nach neuen Wegen sucht, eine bestimmte Sprache zu verstehen, indem sie die Grenzen zwischen ihnen aufbricht. Derzeit studiert sie an der Universidad Politécnica de Valencia einen Master in Visual and Multime-dia Arts.
http://www.violetalopezlopez.com
Arbeitsvorhaben und Erwartungen:
»HEAVY·METAL·VERSES ist eine künstlerische Untersuchung, die sich mit der Kilonova als Paradigma für die Verschmelzung von Physik und Poesie befasst: Die unerwartete Perfektion einer Explosion, die die Zerstörung von etwas bedeutet, das etwas Neues schafft d.h. der Verlust, der zu einem Gewinn führt. Ich werde bei FAIR/GSI eine Untersuchung entwickeln, die sich mit dem Geheimnis der astronomischen Ereignisse befasst, die ein Verhalten zeigen, das wir derzeit nicht verstehen können, und die Verbindungen zwischen diesen bekannten und unbekannten Fakten sowie der künstlerischen Praxis finden soll.
So erwarte ich, dass der Einblick in diese Ereignisse, das Wissen und die Erfahrung, die mir der Aufenthalt als Artist-in-Science-Stipendiatin bieten, es mir ermöglichen wird, neue Perspektiven zu schaffen und meine künstlerischen Methoden auf meine Forschungen rund um die Kilonova anzuwenden. Die geschieht, indem ich nach Verbindungspunkten zwischen Kunst und Physik suche, um eine immersive Erfahrung für den Betrachter zu schaffen. Es soll eine poetische Neuinterpretation der Kilonova im Zusammenhang sozialer Beziehungen entstehen.
Denn wir sind wie Neutronensterne, die sich gegenseitig umkreisen, binäre Systeme, die kollidieren, dabei Licht freisetzen und Neues schaffen, neue Verse, schwere Elemente, die wie Gold leuchten« Violeta López López.
Statement Institut:
»GSI/FAIR erforschen das Universum im Labor: Die Experimente am Forschungszentrum ermöglichen es, Materie zu untersuchen, wie sie unter extrem hohen Temperaturen, Drücken oder Dichten in großen Planeten, Sternen und Sternexplosionen vorkommt. Wie werden die Ergebnisse unser Wissen über das Universum verändern? Werden sie auch unsere Wahrnehmung des Universums beeinflussen? Wir freuen uns auf dem künstlerischen Dialog zwischen Violeta López López, unseren Wissenschaftler:innen und der Öffentlichkeit über die Entwicklung des Universums, die Entstehung der Elemente, und wie die Forschung dazu immer tiefere Einblicke gewinnt.«, Paolo Giubellino, Wissenschaftlicher Geschäftsführer von GSI und FAIR.
Statement Stipendiatin:
»Meine künstlerische Arbeit befasst sich mit visuellen Elementen, Ton und Text und schlägt eine Erkundung der Grenzen zwischen verschiedenen Sprachen vor, um diese aufzulösen und neue Bedeutungen und Ausdrucksmöglichkeiten zu entdecken. Dies geschieht von einem poetischen Standpunkt aus, auf der Suche nach versteckten Analogien und inhärenten Unterschieden, die Wege zwischen Elementen öffnen, die scheinbar weit voneinander entfernt sind. Auf diese Weise nutze ich die Poesie als Subversion der Sprache und als Rahmen, von dem aus ich andere Disziplinen analysieren und erweitern kann.
Die Chance, bei FAIR/GSI zu arbeiten und zu forschen, ermöglicht es mir, die verborgene Poesie der Physik zu erforschen, die Verbindungen, die in den Atomen und Versen schlagen.
Als Artist-in-Science-Stipendiatin ausgewählt worden zu sein, bietet mir den perfekten Rahmen, um eine Untersuchung im wissenschaftlichen Bereich in enger Verbindung mit der Kunst durchzuführen.« Violeta López López
Louise Charlier (Belgien) in Kooperation mit ESOC
Zeitraum: 04. September – 18. Oktober 2023
Eröffnung Final View (öffentlich) am 12. Oktober 2023
Biografie und Links:
*1996
Louise Charlier ist eine belgische Künstlerin und Forscherin. Sie lebt und arbeitet in Brüssel. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Beobachtung des Raums, ihrem Experimentier- und Darstellungsort zwischen Kunst, Wissenschaft und Fiktion.
http://louisecharlier.hotglue.me/
https://www.instagram.com/lou_charlier/?hl=fr
Arbeitsvorhaben für den Zeitraum des Stipendiums:
»Das Projekt, das ich für meinen Aufenthalt plane, ist die Schaffung einer interaktiven, modularen und wandernden künstlerischen Installation, ein Raum für Wissen und Begegnungen mit dem Namen „Library of Spatial Imaginaries“.
Dieses Projekt ist Teil einer umfassenderen Forschungsarbeit, nämlich der Realisierung einer Promotion in Kunst und Kunstwissenschaften mit dem Titel „Constellation of spatial imaginaries: rethinking our links to Space and the Earth by the study of alternative narratives of the cosmos“. Die ersten Wochen sind dem Treffen mit den Forscher:innen gewidmet. In den aufgezeichneten Gesprächen werde ich ihre Beziehung zum Weltraum, den Stellenwert der von ihnen gesammelten wissenschaftlichen Daten in der Konstruktion der Erzählung von der globalen Erwärmung, aber auch von den Auswirkungen geostationärer Satelliten auf das Licht und die Weltraumverschmutzung hinterfragen.
Diese Begegnungen bilden das Rohmaterial für die Schaffung der Installation: Tonmaterial durch die Aufzeichnung der Gespräche und visuelles Material durch die Entdeckung ihrer Orte und Arbeitsinstrumente.
Die Installation wird aus einem Möbelstück bestehen, das seinerseits aus Objekten besteht, die für die untersuchten Vorstellungen repräsentativ sind und die die Zuschauer zum Anfassen einladen. Diese Bibliothek soll eine offene Tür zur räumlichen Vorstellungskraft der Forscher:innen sein und den Zuschauer:innen andere Sicht- und Denkweisen über die Verbindungen zwischen Erde und Weltraum vermitteln.« Louise Charlier
Statement Institut:
»Wir freuen uns auch in diesem Jahr ein Ort der Inspiration für dieses einzigartige Projekt zu sein und in Zusammenarbeit mit Kultur einer Digitalstadt e. V. am Artist-in-Science-Residence Programm teilzunehmen. Insbesondere freuen wir uns auf die künstlerische Arbeit von Louise Charlier zur Schaffung eines interaktiven Werkes „Library of Spatial Imaginaries“«.
Dr. Rolf Densing, Direktor für Missionsbetrieb und Leiter des europäischen Raumfahrtkontrollzentrums ESOC / ESA in Darmstadt.
Statement Stipendiatin:
»Der Weltraum ist mein Ort des Experimentierens. Fasziniert von seinen Geschichten und Bildern erschaffe ich durch eine künstlerische und theoretische Forschungspraxis neue räumliche Imaginationen. Die Artist-in-Science-Residence in Zusammenarbeit mit dem ESOC ist eine Chance, die räumlichen Vorstellungen von Forschern rund um die spezifischen Geschichten der globalen Erwärmung zu entdecken und hervorzuheben.« Louise Charlier
Bildrechte
Abb. Titel : © Kathrin Benstem