Die Kommunikationsmechanismen der Sozialen Medien haben massive Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung. Dies machen sich vor allem rechtsextreme Aktivist:innen zunutze. Der Digital*Salon #6 hat untersucht, inwieweit eine Neudefinition des Begriffs Faschismus hilfreich ist, um einerseits die besonderen Grundlagen und Gefahren der webbasierten neuen Ausgrenzungs- und Vernichtungsphantasien zu erkennen – und um andererseits auch wirkungsvolle Gegenmaßnahmen im Sinne eines digitalen Anti-Faschismus zu entwickeln. Als kommunale Initiative interessierte uns dabei insbesondere die Frage, wie sich solche Maßnahmen innerhalb einer Stadt formulieren und im Weiteren anwenden lassen.
Sechs Referent:innen haben ihre Erkenntnisse und Aktivitäten vorgestellt:
- Holger Marcks, Sozialwissenschaftler und Autor des Buchs „Digitaler Faschismus“ (zusammen mit Maik Fielitz)
- Sebastian, Antifa-AG der Interventionistischen Linken Darmstadt
- Ravena Hengst, Kommunikationsdesignerin und Initiatorin des Projekts „Design Democracy“
- Susanne Kolb und Gunther Fuchs, Regionalstelle Süd im hessischen Beratungsnetzwerk „Gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“
- Johannes, Bündnis gegen Rechts Darmstadt
Mitdiskutiert haben Lukas Einsele, KeD-Vorstandsmitglied, und Markus vom Darmstädter Bündnis gegen Rechts. Die Konzeption und Moderation der Veranstaltung übernahm David Promies. Organisiert wurde die Veranstaltung von Friederike Bülig (KeD); sie hat die Gespräche auch protokolliert. Vor und während der Veranstaltung hat Verena Schneider (KeD) Mindmaps zu den Vorträgen angefertigt.
Der Digital*Salon wurde am 26. Februar 2021 als nichtöffentliche Videokonferenz durchgeführt. Wir stellen folgendes Material zur Dokumentation der Veranstaltung bereit:
- Schriftliche Dokumentation des Digital*Salon #6: Digitaler (Anti-)Faschismus (PDF)
- Mindmap „Analyse und Bewertung“ (PDF)
- Mindmap „Gegenmaßnahmen“ (PDF)
- Toolbox „Digitaler (Anti-)Faschismus: Lektüretipps und Links“
Für den Einstieg haben wir im folgenden die wichtigsten Erkenntnisse aus den Vorträgen und Diskussionen der Veranstaltung zusammengefasst.
Wie arbeitet der digitale Faschismus?
Im digitalen Raum ist seit vielen Jahren eine Expansionsstrategie der extremen Rechten zu beobachten, die durchaus erfolgreich ist. Dabei verwendet sie drei zentrale Manipulationstechniken:
- Sie verbreitet dramatische Bedrohungserzählungen, die aus dem klassischen Propaganda-Arsenal faschistischer Bewegungen stammen und mit Begriffen wie „Bevölkerungsaustausch“ auf die heutige Situation zugeschnitten werden. Diese Narrative rufen meist nicht direkt zu Gewalt auf; stattdessen benutzen sie das sehr wirkungsvolle Mittel der „gefährlichen Rede“, um den Leser:innen eine Notwehrsituation zu suggerieren, in der Gewalt als eine angemessene Reaktion erscheint.
- Sie versucht, die Glaubwürdigkeit der etablierten Medien zu erschüttern und durch eine veränderte Wahrnehmung ein verzerrtes Bild der Realität zu erzeugen. Die Lüge wird zum Gütesiegel für die rechten Gesinnungsgenoss:innen, ein an Fakten orientierter Diskurs wird verweigert.
- Sie nutzt die funktionalen Schwächen der sozialen Netzwerke bewusst aus, um mit falschen Accounts und exzessivem Online-Aktivismus einen von vielen Menschen getragenen Diskurs mit inhaltlicher Relevanz zu simulieren.
Warum ist der digitale Faschismus so erfolgreich?
Die beschriebenen Manipulationstechniken passen hervorragend zu den Publikations- und Bewertungsmechanismen der Sozialen Medien. Rechte Lügen können problemlos neben faktenbasierten Beiträgen stehen, weil es keine redaktionelle Kontrolle der verbreiteten Inhalte gibt. Hinzu kommt, dass dramatische, mit negativen Emotionen aufgeladene Beiträge von den Algorithmen der Netzwerke mit erhöhter Aufmerksamkeit belohnt werden, weil sie stärkere Nutzer:innenaktivitäten und damit mehr Profit für die Betreiber versprechen. Die gleichen Algorithmen freuen sich auch, wenn viele Beiträge erstellt und geteilt werden. So lässt sich mit falschen Profilen und geballtem Online-Aktivismus weniger Personen eine inhaltliche Relevanz simulieren, die als echt bewertet und in eine größere Öffentlichkeit getragen wird.
Erfolgreich ist der digitale Faschismus insbesondere bei einer Altersgruppe: den 45- bis 65-Jährigen. Dort sind politikferne Menschen zu finden, die erst spät mit digitalen Technologien in Berührung gekommen sind und nun auf Facebook, Instagram und Co. mit Erzählungen aus dem rechten Schreckensarsenal konfrontiert werden, die ihr Weltbild nachhaltig erschüttern.
Was macht den digitalen Faschismus so gefährlich?
Die gefährliche Rede der faschistischen Bedrohungserzählungen erfüllt ihren Zweck: Die Gewaltbereitschaft unter den Leser:innen dieser Botschaften steigt, eine Radikalisierung setzt ein, die zu echter Gewalt und zur Vernichtung von Menschenleben geführt hat.
Gewaltig ist auch der gesellschaftliche Schaden: Wenn die Glaubwürdigkeit des faktenbasierten Journalismus in Frage gestellt und der an Aufklärung interessierte Diskurs verweigert wird, gerät die Grundlage unseres demokratischen Zusammenlebens in Gefahr.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders erschreckend, dass sich die rechtsextreme AfD mittlerweile in den Parlamenten etabliert hat und rechte Parolen zunehmend Gehör in der Politik und in den Medien finden.
Was kann man dagegen tun?
Der digitale Faschismus ist nicht zuletzt deshalb so gefährlich, weil es noch keine umfassenden, nachhaltig wirksamen Gegenmittel gibt. Im Hinblick auf mögliche Gegenmaßnahmen haben die Referent:innen unterschiedliche Ansätze und Praxiserfahrungen aufgezeigt. Ein Weg ist der Dialog, geführt sowohl innerhalb als auch außerhalb der digitalen Welt. Politische Bildungsangebote können für mehr Medienkompetenz im Umgang mit Fake News, faschistischen Bedrohungserzählungen und gefährlicher Rede sorgen und im besten Fall auch zur Gegenrede, zum Einschreiten gegen rechte Manipulationsmanöver führen.
Das Projekt „Design Democray“ zeigt, dass man sich dabei sogar die Werbemechanismen der Sozialen Medien zu eigen machen kann. Von Designer:innen gestaltete politische Poster werden als digitaler Counterspeech zielgruppengenau ausgestreut, und zwar in Form von maßgeschneiderten Facebook-Anzeigenkampagnen, die genau dort erscheinen, wo sich die rechte Klientel am liebsten trifft. Der Dialog hat jedoch Grenzen: Menschen mit einem gefestigten oder geschlossenen rechten Weltbild sind im Diskurs nicht mehr erreichbar, und es wäre ein fragwürdiger Ansatz, mit denselben manipulativen Mitteln wie die Rechten für mehr Überzeugungskraft im Netz zu sorgen.
Ein anderer Weg ist die Regulierung der sozialen Netzwerke, entweder durch die Tech-Konzerne selbst oder durch die Politik. Die erste Option ist angesichts der kommerziellen Interessen der Plattformbetreiber einmütig als unzureichend bewertet worden; selbst drastische Maßnahmen wie das Sperren einzelner Accounts (das sogenannte Deplatforming) ändern nichts am Grundproblem einer fehlenden redaktionellen Prüfung und Bewertung der Inhalte.
Als Alternative bietet sich die inhaltliche Kontrolle der Netzwerke durch die öffentliche Hand an. Ideen wie eine Klarnamenpflicht mit zentraler Nutzerregistrierung kollidieren trotz ihres hohen Wirksamkeitspotenzials allerdings schnell mit der gesellschaftlichen Sorge, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden könnte. Doch warum nicht weiterdenken? Noch ist es eine Utopie, aber immerhin nicht völlig aus der Luft gegriffen, dass die Sozialen Medien eines Tages vergesellschaftet oder durch neue öffentlich-rechtliche Netzwerke verdrängt werden, die keinen Profit erwirtschaften müssen.
Wie kann eine kommunale Agenda gegen Rechts aussehen?
Voraussetzung für den Erfolg jeglicher Gegenmaßnahmen ist, Verbündete zu suchen und die verschiedenen Akteur:innen der Zivilgesellschaft für die gemeinsame Sache zu gewinnen. Insofern geht dem digitalen Antifaschismus ein in den Köpfen verankerter und im Alltag bewusst gelebter Antifaschismus voraus, dessen Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und den sich jeder Mensch zu eigen machen sollte, der in einer freien Gesellschaft leben möchte.
Wir haben die Hoffnung, dass dieser Digital*Salon dazu einen Beitrag leistet.
David Promies
Personen
Material
- Schriftliche Dokumentation des Digital*Salon #6: Digitaler (Anti-)Faschismus
- Mindmap: Analyse und Bewertung
- Mindmap: Gegenmaßnahmen