Gesichtsmasken mindern nicht nur das Risiko einer Ausbreitung des Coronavirus, sie sind auch eine gute Tarnung. Das Tragen einer Gesichtsmaske führt bei Gesichtserkennungssystemen zu Fehlerquoten bis zu 50 Prozent. Es gibt Hersteller, die ihre Masken gezielt „tarnend“ gestalten, damit deren Träger auf Demonstrationen nicht identifizierbar sind. Moskau überwacht per Gesichtserkennungstechnologie, ob Menschen die Quarantäne einhalten. In China haben Algorithmen mittlerweile „gelernt“, Menschen trotz Atemschutzmaske zu erkennen und Menschen mit Fieber zu melden. In Österreich gilt ein Vermummungsverbot, gleichzeitig müssen aber Gesichtsmasken getragen werden…
Mit der Corona-Pandemie ist das Phänomen des verhüllten/verschleierten Gesichtes über die bisher bekannten religiösen (Verschleierung), politischen (Vermummung) oder militärischen (Tarnung) Kontexte hinaus zu einem Alltagsphänomen geworden, das nahezu alle Menschen weltweit betrifft und damit Diskussionen auslöst, die vorher eher punktuell und fachspezifisch stattfanden.
Das verhüllte Gesicht erhält somit eine Aufmerksamkeit wie nie zuvor. Die aufkommenden Fragen betreffen nicht nur den Kontext von Corona, sondern sind grundsätzlicher Natur:
Wieviel vom menschlichen Gesicht muss sichtbar sein, um es als solches zu identifizieren? Was von meinem Gesicht darf/muss/kann ich an welcher Stelle verhüllen? Was macht es mit uns und unserem Verständnis vom Menschsein, wenn wir immer mehr von automatischen bzw. autonomen Verfahren zur Gesichtserkennung und -aufzeichnung umgeben sind? Was könnte es bedeuten, wenn diese Verfahren plötzlich nicht mehr in der Lage sind, Gesichter zu erkennen oder gar die betreffenden Menschen zu identifizieren? Was macht es mit unserem Verständnis von Autonomie und Privatheit? Wie verändern wir nicht nur unser Selbstverständnis, sondern in Folge auch unser Verhalten? Wann (und warum) fangen wir an, unser Gesicht zu verbergen, d.h. zu verschleiern? Was ist Verschleierung? Welche Geschichte hat sie?
Hierzu forschte ich im Rahmen des Projektes »Hiding Faces« mit der Philosophin Dr. Maria Kronfeldner. Mit einem Laserscanner, einem fotogrammetrischen Kopfscanner und einem 3D-Linienscanner fertigte ich Porträts von insgesamt ca. 25 Besuchern an. Später arbeitete ich mit weiteren fotogrammetrischen Verfahren.
Für »Hidden Faces« werden die gesammelten digitalen Scan- und Fotogrammetriedaten mittels verschiedener Softwares nach ästhetisch-phänomenologischen Kriterien untersucht und weiterentwickelt. Sie sind Grundlage für dreidimensionale Gesichtsbilder, die zuerst einmal als .tiff-, .avi-, .mov-, .stl-, .obj- etc.-Dateien vorliegen und dann mehrstufig in verschiedene zwei- und dreidimensionale (multi-)mediale Formate (u.a. AR- und VR-Videos und -Animationen sowie 2D- und 3D-Drucke) überführt werden.
Die so entstehenden Skulpturen, Videos, Bilder etc. erlauben eine Auseinandersetzung mit der Frage der Unzulänglichkeit jeglicher Abbildungsverfahren, ihrer Fehler- und Lückenhaftigkeit. Darin eingeschlossen ist das eigene, das menschliche Sehen, das ständig und massiv unter Einfluss ist von Aspekten wie „kultureller Bias“, Eigeninteressen, Voreingenommenheit, Unwissen, Propaganda etc.
Die Ergebnisse von »Hidden Faces« sind Teil der Publikation, die im Juli 2021 zu »Hiding Faces« erschienen ist. Sie werden somit Teil unserer philosophisch-künstlerischen Auseinandersetzung mit dem menschlichen Gesicht.
Hidden Faces Studie 04 »My own face as a mesh«
„Wir verbergen unsere Gesichter auch im Schmerz: im Schock, in Scham, Traurigkeit oder Erschöpfung. Als müssten wir unsere Gesichter halten – damit sie nicht auseinanderfallen.“
„We also hide our faces in pain: in shock, shame, sadness or exhaustion. As if we need to hold our faces together – so that they do not fall apart.“
Maria Kronfeldner
Hidden Faces Studie 03 »Cloud no Confidence«
„Die Geschichte des antagonistischen Verbergens von Gesichtern ist die Geschichte der Dominierten, der Erniedrigten – eine Geschichte der Konstruktion von Antagonismen. Es betrifft das Gesicht derer, die uns egal sind oder die dem Hass ausgesetzt sind. Ihr Gesicht wird ignoriert, verfremdet oder zerstört. Sie werden als weniger menschlich oder als gar nicht menschlich dargestellt und wahrgenommen.“
„The history of the antagonistic hiding of faces is one of the dominated and the humiliated – a history of the construction of antagonisms. It concerns the faces of those we don’t care about or those subject to hatred. Their faces are ignored, obscured or destroyed. They are depicted and perceived as less human or as not human at all.“
Maria Kronfeldner
Hidden Faces Studie 01 »Im Kopfscanner«
„That, though, then creates the problem that many people don’t understand why – for the software – the nice lady here in Lukas’ video is not a lady. So, there is another process we have to apply. Typically, the scanned data itself is only an intermediate product; you want to create something out of it. Most of our customers create CAD models out of it – of a house, for example. As a user, you look at the wall of the house that was scanned and it’s completely obvious that it‘s a wall. It‘s very difficult for users to understand that, for the software, it’s not a wall at all, just a million anonymous points which, perhaps by accident, are close to each other.“
Oliver Bürkler, FARO
Hidden Faces Studie 02 »Dense cloud confidence«
Veiling the faces of the enemies makes it easier to kill them
„Aber Papa, das ist doch kein Problem: Die Personen sehen wirklich nicht aus wie Menschen. Die tragen eine Art Maske, manchmal auch ein Tuch vor dem Gesicht. Und ihre Augen sind so kleine schwarze Punkte. Das ist nicht menschlich. Man kann auch das Blut ausschalten und wenn man jemanden erschießt und tötet, kann man auch die Leichname ausschalten. Du musst also das Blut oder die Leichname nicht betrachten. Das macht es leichter zu spielen.
“But daddy, it’s not a problem: The people don‘t really look like humans. They‘re wearing a kind of mask, sometimes just a cloth in front of the face, and their eyes are these small black points. It‘s not human. You can also switch off the blood and, if you shoot and kill a person, you can switch off the corpses. So, you don’t have to see blood or corpses, and that makes it easier to play.”
Mein Sohn