Álvaro Rodriguez Badel war vom 01.06. – 20.07.2022 Artist-in-Science-Resident bei Kultur einer Digitalstadt e.V. in Kooperation mit hessian.Ai
In Zusammenarbeit mit dem Hessischen Zentrum für künstliche Intelligenz (hessian.AI) setzt sich Álvaro Rodriguez Badel mit Bildmaterial auseinander, das er in den letzten Jahren im kolumbianischen Amazonasgebiet angefertigt hat. Aus unzähligen Fotos der Flora und der Topografie des Regenwaldes, die nach fotogrammetrischen Gesichtspunkten angefertigt wurden, entwickelt er mit Hilfe von KI-Software 3D-Modelle, von denen er Ausschnitte als großformatige Farbdrucke, Videos, Virtual Reality-Szenen oder 3D-Drucke präsentiert.
Unmittelbar vor seiner Residence in Darmstadt reiste Álvaro in den Chiribiquete Nationalpark in Kolumbien und fotografierte dort die zum Teil über 15.000 Jahre alten Felsmalereien, die Teil des dortigen UNESCO-Weltkultur- und Weltnaturerbes sind.
Auf Basis seiner Fotografien und Videoaufnahmen untersucht Alvaro neue Möglichkeiten der Rezeption und Interpretation dieses Ökosystems: Er erzeugt 3D-Darstellungen des Amazonas sowie traumähnliche Bilder, indem er tiefe neuronale Netze für deren Generierung einsetzt.
Mit Hilfe der Forschenden von hessian.Ai nutzt und verbessert Alvaro die neuronalen Netzwerke. Er versteht sie als ein Werkzeug zur Erweiterung von Kreativität und Bewusstsein, fokussiert dabei auf den Dialog zwischen indigener Kosmovision und Technologie. Die entstehenden Kunstwerke sind Proposition für eine neue Art der Naturwahrnehmung durch digitale Technologien. Ein neuer Raum wird angeboten, in dem wir unser Verständnis für die Beziehung zwischen digitaler und physischer Welt spielerisch auf die Probe stellen können.
Während seiner Residence im LEW1 beschäftigte sich Álvaro vor allem mit den Fragen, wie das Wissen einer KI in die künstlerischen Schaffungsprozesse einfließt und sichtbar wird, welche kulturelle Prägung KI-Modelle haben, woher sie stammen und welche Konsequenzen sie für eine KI-basierte Interpretation der Welt und der menschlichen Kultur haben. Álvaro versucht außerdem, offensichtliche Fehlinterpretation zu korrigieren – eine wichtige Aufgabe des »human in the loop«.
Am 30.06. stellte Álvaro seine Arbeit und die ersten Ergebnisse der Zusammenarbeit mit hessian.AI einer Expert:innenrunde vor. Die Diskussion wurde aufgezeichnet und wird bald hier zur Verfügung stehen.
»Seit Menschengedenken neigen wir dazu, unser eigenes Bild von Sachverhalten zu kreieren, das aus Annahmen, Beobachtungen und Schlussfolgerungen besteht. Diese können beliebig unvollständig oder fehlerbehaftet sein, werden jedoch in der Regel zu einer in sich konsistenten und selbstbewussten Theorie zusammengeführt. Die dritte Welle von KI-Systemen wird selbständig erkennen, wenn sie nichts wissen, und somit falschen Entscheidungen entgegenwirken, sich anpassen und weiterentwickeln. Ziel einer neuen Generation von künstlicher Intelligenz sollte also sein, die blinden Flecke menschlicher Intelligenz auszuleuchten und als Partner der Menschen zu fungieren. Dies kann uns auch dabei helfen, Natur umfassender zu verstehen, um mehr im Einklang mit ihr zu leben.«
(Dr. Wolfgang Stille, CTO hessian.AI)
»Die schwarzen Zonen in meiner Arbeit sind die Bereiche der Bilder, die von der KI nicht verstanden wurden, zu ihnen liegen keine Daten vor. Ich verstehe dies als Metapher, wie nämlich unser Bewusstsein und die Kenntnis von unserer Umgebung und der Welt funktioniert. Selbst wenn wir ein noch so gestochen scharfes, hochauflösendes Bild haben (oder erzeugen wollen), so fehlt uns immer ein Teil der Informationen, uns fehlen immer weitere Daten, und unsere Wahrnehmung der Realität ist darum auch immer voller schwarzer Zonen.«
(Álvaro Rodriguez Badel)
»A Breath at the Edge of Future«
Mit einer viertägigen öffentlichen Abschlusspräsentation im LEW1 endete die Residence von Álvaro Rodriguez Badel.
Zur Eröffnung am 14. Juli 2022 sprachen neben Lukas Einsele (1. Vorsitzender KeD) und Wolfgang Stille (CTO hessian.AI)) auch Philip Krämer (MDB, Bündnis 90/die Grünen) und Barbara Struif (2. Vorsitzende KeD).
»Generative KI-Modelle können heutzutage Texte, Bilder oder Klänge erzeugen, die analog zur Kunst bisher in dieser Form nicht auf diesem Planeten existierten. Die Rezeption dieser Inhalte hat Einfluß auf unsere Wahrnehmung und das menschliche Bewusstsein. Eine spannende Forschungsfrage ist, inwieweit wir diesen Mechanismus proaktiv nutzen können, um z.B. ein umfassenderes Verständnis jahrmillionen alter Ökosysteme zu erlangen, die unsere Lebensgrundlage bilden.«
(Dr. Wolfgang Stille, CTO hessian.AI)
»Kunst kann unsere Beziehung zur Umwelt verändern, indem sie eine neue Perspektive auf die Welt um uns herum eröffnet. Sie kann uns die Schönheit der Natur vor Augen führen und uns zeigen, wie wichtig es ist, sich um unseren Planeten zu kümmern. Aber sie kann definitiv auch weitreichende Fragen und Bedenken aufwerfen. Meine Arbeit schlägt einen kontemplativen Weg vor, in dem neue Technologien und die Natur in Beziehung gesetzt werden und gleichzeitig versucht wird, den Prozess der bloßen menschlichen Wahrnehmung einzusetzen und zu erforschen.«
(Álvaro Rodriguez Badel)
Digitale Naturvisionen aus dem Amazonasgebiet –
Das magische Werk des kolumbianischen Medienkünstlers Álvaro Rodriguez Badel
Ein Text von Barbara Struif
»Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Arbeit von Álvaro Rodriguez Badel zu werfen, denn die Ästhetik und Komplexität seiner Kunst ist beeindruckend.
Álvaro Rodriguez Badel betreibt eine Naturbetrachtung über digitale Systeme. Grundlage dafür ist Bildmaterial, das er auf seinen Forschungsreisen durch das brasilianische und kolumbianische Amazonasgebiet, das zum Teil noch von indigenen Völkern bewohnt ist, angefertigt hat. Mit Fotogrammetrie – einer Technik aus dem Videospielbereich – hat er die Flora und die Topografie des Regenwaldes aufgezeichnet. Aus diesen Aufnahmen entwickelt er mit Hilfe von KI-Software 3D-Modelle, die er als großformatige Farbdrucke, Videos, Virtual Reality-Szenen oder 3D-Drucke präsentiert. Seine künstlerische Arbeit beleuchtet dabei ästhetische und medien-philosophische Aspekte, gleichzeitig erwachsen daraus aber auch gesellschaftlich-relevante und politische Themen.
»Neue Technologien beeinflussen unser tägliches Leben, sie verändern unsere Art zu denken und die Welt zu verstehen. In diesem Sinne bin ich davon überzeugt, dass durch die gemeinsame Arbeit an der Schaffung von Beziehungen zwischen Kunst, Natur, Wissenschaft und Technologie ein neuer Raum des Denkens und Verstehens entstehen wird: ein Ort, an dem wir über unsere Vorstellung vom Leben und die Art und Weise, wie wir mit der Umwelt und miteinander in Beziehung stehen, nachdenken können«- so der Künstler.
So beschäftigt sich Álvaro Rodriguez Badel mit den Fragen, wie das Wissen einer KI in den künstlerischen Schaffungsprozess einfließt und sichtbar wird, welche kulturelle Prägung KI-Modelle haben, woher sie stammen und welche Konsequenzen sie für eine KI-basierte Interpretation der Welt und der menschlichen Kultur haben.
Im Zentrum steht dabei die Beziehung von Mensch und Umwelt – reflektiert durch die Augen neuester Technologie.
Natur in der Kunst ist ein Thema, das in der Kunstgeschichte schon immer von großer Bedeutung war. Über die Epochen hinweg konstruierten Künstler*innen Landschaften, Pflanzen und Momente schöner Naturerfahrungen, die uns an reale Natur erinnern. 1
Kunstwerke bildeten also häufig eine Nachahmung von Natur, eine Konstruktion meist idealisierter Natur. Die Vorgehensweisen in der Kunst sind nicht neu, aber neue Tools sind dazugekommen: Digitale Techniken erweitern die künstlerischen Möglichkeiten und das Kreieren einer neuen Version von Natur.
So beschäftigen sich neben Álvaro Rodriguez Badel eine ganze Reihe weiterer Medienkünstler*innen – u.a. Vera Molnár, Miguel Chevalier oder Michael Reisch – in ihren computeranimierten Werken mit dem Repräsentieren und Erleben von Natur. Das Interesse an dem Sujet liegt auch darin begründet, dass mit den zunehmenden Anforderungen der digitalen Gesellschaft, die eine Entfremdung von Natur mit sich bringt, die Sehnsucht nach Naturerfahrung neu aufkeimen lässt. Und dies sicher auch, weil es um die intakte Natur, nach der wir uns so sehr sehnen, schlecht bestellt ist. Der ökologische Fußabdruck des Menschen wird von der Erde nicht mehr verkraftet. 28. Juli 2022 wird die Menschheit die natürlich verfügbaren Ressourcen komplett aufgebraucht haben. Das ist der Tag der Erdüberlastung. Luft- und Wasserverschmutzung, Artensterben und Klimawandel bedrohen unser Leben.
Auch das Amazonasgebiet, das noch von wenigen indigenen Völkern besiedelt wird, ist einer expansiven und aggressiven Politik schutzlos ausgeliefert, die illegale Rodungen und den schmutzigen Abbau von begehrten Rohstoffen gnadenlos und profitorientiert vorantreibt. Dieses Ökosystem – das wissen wir alle – ist für die gesamte Welt von fundamentaler Bedeutung. Und nicht nur aus diesem Grund impliziert die künstlerische Arbeit von Álvaro Rodriguez Badel auch für uns eine hohe Relevanz.
In seinen Augen wurde die Natur in gewisser Weise zurückgelassen. Und um mehr über die Natur nachzudenken und nicht nur über uns selbst, erstellt er mit digitaler Technik Bilder, die für fast jeden interessant sein könnten, um uns dazu zu bringen, wieder über die Natur nachzudenken. Dabei sind seine Naturwelten keine realen Abbildungen der Natur, keine Nachahmungen, sondern künstliche Universen, die ihre digitale Handschrift sichtbar nach außen tragen. Seine Werke sind also von der Idee geprägt, die Natur durch digitale Medien darzustellen und dabei zu erforschen, wie logische oder datenbasierte Rechen-Prozesse die Welt um uns herum verstehen.
Die Frage, die er dabei aufwirft, lautet: Wie nimmt Technologie die Natur wahr oder repräsentiert sie?
Alvaro hat im hessischen Zentrum für künstliche Intelligenz KI-Software mit mehr als 20.000 Fotos gefüttert und sie mit Beschreibungen des Sichtbaren versehen. Danach hat er Begriffe eingegeben wie: „Ansicht vom Fluss auf den Regenwald“ und die KI-Software hat daraus neue Ansichten vom Fluss auf den Regenwald simuliert. Doch bei Wasser oder auch beim Himmel stößt die hier angewandte KI an Grenzen des Verstehens. Wasser bewegt sich, Licht bricht sich in Wellen, das gleiche gilt für den Himmel. Also entstehen bei der Transformation Flächen ohne genauere Informationen, Leerstellen oder um es genau zu benennen: blinde Flecken. Diese Bildflächen brechen mit der perfekten Naturnachbildung und zeigen, dass die eingesetzte Software ein lückenhaftes Verständnis von der Natur hat, dass sie sich ihr eigenes Bild von der Natur macht. Natürlich kann man die KI so lange trainieren, bis sie eine perfekt simulierte »Ansicht vom Fluss auf den Regenwald“ kreiert. Doch Alvaros künstlerische Strategie verfolgt ein anderes Ziel. Die Sichtbarmachung des blinden Flecks der KI, die Einschreibung der KI ins künstlerische Oeuvre dient als Reflektion darauf, wie unser Wissen und unser Bewusstsein von unserer Umgebung und der Welt funktioniert.
Selbst wenn wir ein gestochen scharfes, hochauflösendes Bild haben wollen, fehlt uns immer ein Teil der Informationen, uns fehlen immer weitere Daten, und unsere Wahrnehmung der Realität hat immer blinde Flecken.
Das zu Tage tretende Spannungsfeld zwischen realem Naturmotiv und stilisierter Künstlichkeit fordert also die Kunstbetrachter*innen zur Überprüfung ihrer eigenen visuellen Wahrnehmung auf – und zum Mitdenken des erweiterten Raums der digitalen Möglichkeiten.
Und so laden die 3d-animierten Bild- und Videoarbeiten von Álvaro Rodriguez Badel dazu ein, sich Gedanken zu machen – und sich zugleich von der visuellen Kraft in den Bann ziehen zu lassen. Denn bei näherer Betrachtung des Tafelberges, der im Atelier als großflächiger Print zu sehen ist, wird der Blick von dem Felsen zu der ihm umgebenden feinen moosigen Rasterstruktur gelenkt, die dem Berg etwas mythisches und fabelhaftes verleiht.
Etwas seltsam Schönes und traumhaft Unwirkliches strahlen seine künstlichen Natur-Universen aus. Als ob das Magische der Kosmovision der indigenen Bevölkerung Kolumbiens Einzug in die Bildwelten Alvaros gehalten hätte.
Der Medienphilosoph Vilém Flusser erhoffte sich von Maschinenrechnern das Entwerfen neuer Universen und Identitäten – und den Aufbruch in noch unverwirklichte Wirklichkeiten. 2
Alvaro erfüllt diese Hoffnung, ohne dabei den Blick für sein Volk und die Bedingungen des Amazonasgebiets zu verlieren.«
1: Museum Sinclair-Haus (Hrsg.), Digitale Landschaft. In: Blattwerke 11, Bad Homburg v. d. Höhe, 2019, S. 4.
2: Rudolf Maresch, Virtualität. In: Glossar der Gegenwart, hg. von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke, Frankfurt am Main 2004, S. 277