Maria Kronfeldner und Lukas Einsele
23. Juni bis 6. Juli 2020 im LEW1
Leseempfehlung
»On Hiding Faces«
Ein Essay von Maria Kronfeldner, publiziert auf der Homepage der American Philosophical Association (APA), 04. Januar 2021
Digital*Salon #3 »Why faces matter so much«
Publikation zum Digital*Salon
Über das Projekt
Viele Debatten um Gesichtserkennung konzentrieren sich auf die rasant wachsenden technischen Möglichkeiten und die daraus entstehenden Probleme der Regulierung dieser Technik. Unser heutiges Verständnis von Menschsein, Privatheit und Autonomie wird dabei meist als Gegeben vorausgesetzt.
Das interdisziplinäre Projekt »Hiding Faces« nahm die andere Seite, die kulturelle, anthropologische und damit ethische Dimension des Gesichts und damit des Zeigens und Verbergens des Gesichts in den Blick nehmen und kontextualisieren.
Im Zentrum des Projekts standen daher folgende Fragen: Was macht es mit uns und unserem Verständnis von Menschsein, wenn wir immer mehr von automatischen bzw. autonomen Verfahren zur Gesichtserkennung und -aufzeichnung umgeben sind? Was macht es mit unserem Verständnis von Autonomie und Privatheit? Wie verändern wir nicht nur unser Selbstverständnis, sondern in Folge auch unser Verhalten? Wann (und warum) fangen wir an, unser Gesicht zu verbergen, d.h. zu verschleiern? Was ist Verschleierung? Welche Geschichte hat sie?
Der Zugang zu diesen Fragen war epistemologisch, d.h. auf das Sehen, den Gesichtssinn, das Erkennen und das Verstehen gerichtet. Diese vier Kernkategorien der Epistemologie bildeten den Hintergrund, um der Geschichte des Verbergens des Gesichts nachzuspüren. Dabei wurde das jeweilige Verständnis von Menschsein hinsichtlich Autonomie und Privatheit nicht als Konstante betrachtet, sondern als geschichtliche, kulturelle und damit politische Variable, die eigene Chancen aber eben auch Risiken birgt. Diese sind für die gesellschaftliche Veränderung eigenständig, d.h. nicht auf die Chancen und Risiken der Gesichtserkennungstechnik selbst reduzierbar, sondern gehen tiefer – in positiver wie negativer Hinsicht.
Die Form der Untersuchung war interdisziplinär, Philosophie und Kunst verbindend und prozessorientiert. Mit ihrer Recherche machte die Philosophin Maria Kronfeldner, Professorin an der Central European University (New York, Budapest, Wien) den Prozess des Forschens und Verstehens sichtbar. Den Verlauf ihrer Studien und Reflexionen hielt sie in Form einer kontinuierlich wachsenden »Zettelsammlung« fest, die während der Residenceals als lebendiges Archiv im Atelier Ludwig-Engel-Weg 1 der Öffentlichkeit zugänglich war.
Mit einem Laserscanner und einem fotogrammetrischen Kopfscanner arbeitete der Künstler und Fotograf Lukas Einsele im selben Atelier und fertigte Porträts der Besucher an. Die entstehenden dreidimensionalen Gesichtsbilder untersuchte er hinsichtlich ihrer Fragment- und Lückenhaftigkeit.
Die beiden parallel zueinander wachsenden und miteinander verschmelzenden Untersuchungen waren Ergebnis wie auch Grundlage eines ‚wilden’, d.h. offenen Denkens zwischen Kronfeldner und Einsele. Damit wurde die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Reflexionsebenen des Projekts genutzt, eine Öffnung des intellektuellen Horizonts erreicht, die es erlaubte, das Neue in unserem Selbstverständnis und Handeln in Reaktion auf technologische Veränderung sich im Wortsinne vorzustellen. Mit dem Fokus auf einem sehr langsamen und im Verlauf iterativen Prozess des Lesens, Schreibens und Teilens – kurz Forschung – und dies in interdiziplinärem Diskurs, war das Projekt auch ein Versuch, der sich zusehends beschleunigenden und verselbständigenden Technologisierung zutiefst menschliche und damit auch verweilende, entschleunigende Aspekte gegenüber zu stellen.
Begleitend zu »Hiding Faces« wurde am 3. Juli 2020 ein Digital*Salon zum Thema »Why Faces matter so much« veranstaltet. Im Gespräch waren Sophie Loidolt, Philosophin (TU-Darmstadt), Julie Park, Historikerin (UMD College) und Oliver Bürkler, Ingenieur (faro.com), Albrecht Haag (Fotografie) sowie Lukas Einsele und Maria Kronfeldner. Konzept und Gesprächsleitung: Maria Kronfeldner
Das Projekt wurde vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain gefördert, der Central European University (New York, Budapest, Wien), dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Hessischen Kulturstiftung, der Jubiläumsstiftung der Sparkasse Darmstadt, der Entega Stiftung, der Stadt Darmstadt und der Digitalstadt GmbH.
Hintergründe zum Projekt
»Hiding faces / Eine Geschichte der Verschleierung« war Teil einer umfassenderen Forschungskooperation zwischen der Philosophin Prof. Dr. Maria Kronfeldner (Central European University (New York, Budapest, Wien) und dem Künstler Lukas Einsele (»One Step Beyond – The Mine Revisited«) in Form eines Research Retreats bzw. künstlicher- philosophischer Intervention. Das Vorhaben orientiert sich an einem historisch-epistemologischen Diskurs, der sich als Erweiterung eines ansonsten meist politisch-gesellschaftlich diskutierten Zeitphänomens versteht.
Es basiert auf dem gemeinsamen Interesse Kronfeldners und Einseles am Gesicht des Menschen.
Kronfeldner is Professor at Central European University, where she is a member of the Department of Philosophy, the Social Mind Center and the Science Studies Research Group. She works at the crossroads of core philosophical fields, in particular philosophical anthropology, history and philosophy of the life and social sciences, as well as social philosophy. She connects this expertise with a competence in epistemology, philosophy of mind, political philosophy, and a diversity of interdisciplinary fields that study knowledge production, such as history of ideas, sociology of science, gender studies or critical race studies.
She has been awarded the prestigious The Karl Popper Essay Prize of the British Society for the Philosophy of Science and the renowned The Philosophical Quarterly International Essay Prize and has published widely in her field, including two monographs, one on Darwinian Creativity and Memetics (Routledge 2011) and one on What’s Left of Human Nature (MIT 2018), and is editor of the forthcoming Routledge Handbook of Dehumanization. She currently directs the project “The Epistemology of the In/Human”, and in the past initiated and directed the Network Philosophy of the Life Sciences (funded by the German Research Foundation, DFG), and the BMBF-funded project Handwerk Philosophie (Tools for Philosophy).
She held seven visiting fellow positions, with the most recent ones at the Max Planck Institute for History of Science (MPIWG) in Berlin, the Fishbein Center for History of Science and Medicine at the University of Chicago, the Center for Philosophy of Science at the University of Pittsburgh, and the Sydney Centre for the Foundations of Science at the University of Sydney.
She regularly appears in public and considers philosophy to be the most abstract art possible.
Einseles künstlerische Praxis bedient sich schwerpunktmäßig der Fotografie und anderer bildgebender Medien, sowie Text. Umfangreiche Recherchen sind ebenso Grundlage wie Bestandteil der Projekte und ihrer Präsentationen. Sie dienen dem Aufspüren und Sichtbarmachen von Strukturen, Hintergründen und Beziehungen.
Seine künstlerische Arbeit wurde u.a. ausgezeichnet mit Stipendien der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo/Casa Baldi, des Kunstfonds, der Hessischen Kulturstiftung und der Akademie Schloss Solitude, Das Buch »One Step Beyond« wurde 2005 mit dem Deutschen Fotobuchpreis und dem Karl Hofer-Preis der Universität der Künste Berlin ausgezeichnet.
Verschiedene Projekte und Ausstellungen wurden u.a. gefördert von der Bundeskulturstiftung, der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen, der Mondriaan Stiftung und von zahlreichen Goethe-Instituten.
In Einseles umfangreichen Recherchen zu Kriegswaffen und deren Auswirkungen sind Gespräche mit Minenopfern, Kampfmittelräumern, Soldaten, Produzenten etc. ein Ansatz, die abstrakte und meist statistische Dimension der Wirkungen einer Waffe mit menschlichen Individuen in Verbindung zu bringen, zu re-humanisieren. Ein weiteres Element sind Porträts der Protagonisten mit der Großbildkamera.
Während seines Stipendiums an der Deutschen Akademie Rom (2019) fertigte Einsele Laserscans von Objekten und Personen an und untersuchte die entstehenden Daten und Bilder auf ihre Konsistenz und Wirkung als Repräsentation des menschlichen Gesichtes.