Das Atelierhaus Ludwig-Engel-Weg 1 ist Teil der Neuen Künstlerkolonie Darmstadt. Es gehört der Wissenschaftsstadt Darmstadt und wird den Aktivitäten und gemeinnützigen Projekten des Vereins »Kultur einer Digitalstadt e.V.« von der Digitalstadt Darmstadt GmbH zur Verfügung gestellt.
Wer durch das Löwentor am Fuß der Rosenhöhe in Darmstadt schreitet, begibt sich auf den Ludwig-Engel-Weg, benannt nach dem Darmstädter Bürgermeister der Jahre 1951 bis 1971. Der Weg führt entlang der sieben in den 1960er Jahren errichteten Atelier- und Wohnhäuser der »Neuen Künstlerkolonie« im Park Rosenhöhe, die nach Plänen von Rolf Prange, Rudolf Kramer, Bert Seidel, Heribert Hausmann und Reinhold Kargel errichtet wurden.
Wer gleich zu Füßen des Löwentors nach rechts in den Ludwig-Engel-Weg 1 abbiegt, landet im LEW1, dem Sitz des Vereins »Kultur einer Digitalstadt e.V.«.
Das Atelierhaus geht, wie auch die anderen sechs Häuser auf Prinz Ludwig von Hessen und bei Rhein zurück, der nach Kriegsende als »Beitrag zur Überwindung der Nöte der geistig und künstlerisch Schaffenden« den »Verein Neue Künstlerkolonie« gründete.
1973 übernahm die Stadt Darmstadt die Häuser mit dem Ziel der Kunstförderung. 2018 wurde das Haus im LEW1 grundlegend renoviert und wird seitdem durch den Verein »Kultur einer Digitalstadt e.V.« genutzt, um die Neue Künstlerkolonie auf der Rosenhöhe zu einer offenen Spielstätte für den Diskurs zu machen.
Der Verein »Kultur einer Digitalstadt e.V.« hat sich zum Ziel gesetzt, verschiedene Veranstaltungsformate und Förderangebote für Kunst- und Kulturschaffende, aber auch für interessierte Expert:innen anderer Disziplinen, anzubieten, die in dem Wohn- und Atelierhaus am Ludwig-Engel-Weg 1 umgesetzt werden.
Wiederaufbau der Kunst – Die Neue Künstlerkolonie
Ein Text von Rebekka Friedrich, Diplom-Archivarin im Stadtarchiv Darmstadt
Die »Brandnacht« 1944 und das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeuteten eine Zäsur für die Menschen in Darmstadt. 75% der gesamten städtischen Bausubstanz war zerstört. Der 1949 auf Initiative der Stadt Darmstadt gegründete »Verein der Förderer der Darmstädter Künstlerkolonie« machte sich den Bau von Wohnungen für wohnungslos gewordene Kunstschaffende zur Aufgabe. Dafür arbeitete er mit der ebenfalls 1949 gegründeten Wiederaufbau GmbH zusammen, deren Ziel es eigentlich war, zukunftsträchtige Wirtschaftsbetriebe in der Stadt anzusiedeln. Einen Teil ihrer Mittel verwendete die GmbH nun darauf, Darmstadt durch die Ansiedlung von Künstler:innen wieder als kulturelles Zentrum zu etablieren. Unterstützt wurden diese Vorhaben auch von Prinz Ludwig von Hessen und bei Rhein, der so das Erbe seines Vaters Großherzog Ernst-Ludwig den neuen Anforderungen der Nachkriegszeit entsprechend fortführen wollte. Dieser hatte 1899 die renommierte Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe ins Leben gerufen.
Während sich die Mitglieder des Vereins zu Beginn auf den Bau einzelner Wohnungen konzentrierten, rückte mit den Darmstädter Gesprächen im Jahr 1952 eine zentrale Unterbringung von Kunstschaffenden in der Tradition der Künstlerkolonie in den Fokus. Die Darmstädter Gespräche sollten, beginnend mit der ersten Veranstaltung 1950, einen Diskurs anstoßen über die Bedürfnisse des Menschen im Zeitalter der Technisierung. Die 1952 unter dem Titel »Mensch und Technik« durchgeführte Veranstaltung traf den Nerv von Prinz Ludwig. Er hegte ohnehin den Wunsch, die Idee einer Künstlerkolonie wiederzubeleben, was nun Gestalt annahm. Durch die Zusammenarbeit von Technik, Handwerk und Kunst sollte einer »Entseelung« der Gesellschaft durch die fortschreitende »Mechanisierung« vorgebeugt werden. Die Künstlerkolonie könne so, ganz im Sinne von Großherzog Ernst-Ludwig, neu entstehen.
Aufbauend auf neuen Kontakten aus den »Darmstädter Gesprächen« gründete sich in ähnlicher Ausrichtung 1953 der Verein »Neue Künstlerkolonie Rosenhöhe«. Als soziales Projekt sollte an zentraler Stelle Wohnraum für Kunstschaffende entstehen, für den, abgesehen von einem geringen Mietzins, keine Gegenleistung entrichtet werden sollte. Dank Prinz Ludwig war für dieses Vorhaben auch schnell ein Bauplatz gefunden. Der in der Nachkriegszeit stark vernachlässigte Park auf der Rosenhöhe bot reichlich Platz für Wohnraum in geringer Entfernung zur Künstlerkolonie Mathildenhöhe und war zu diesem Zeitpunkt noch Eigentum des Hauses Hessen. Prinz Ludwig stellte einen Teil davon zur Verfügung, so dass dort zwischen 1955 und 1967 in zwei Bauphasen insgesamt neun Wohnhäuser mit unterschiedlicher Konzeption entstanden. Die Gestaltungsplanung der Häuser im Edschmidtweg fand in enger Abstimmung mit den späteren Bewohnern (Gustav Rudolf Sellner und Kasimir Edschmidt) statt. Die Künstler hatten sogar die Möglichkeit, sich selbst die Architekten ihres künftigen Wohnhauses auszuwählen. Beide Häuser wurden auf ihre jeweiligen Bedürfnisse und ästhetischen Vorstellungen abgestimmt und waren nach kurzer Bauzeit 1955 und 1956 bezugsfertig.
Eigentlich war ein weiteres, drittes Künstlerhaus geplant. Doch da die Planung sich sehr lange hinzog und keine Ergebnisse lieferte, kehrte der Verein zur ursprünglichen Idee der Nachkriegsjahre zurück: Man beschloss, eine Reihe weniger individueller, aber moderner Wohnhäuser in Siedlungsform zu bauen. Die darin untergebrachten Wohnungen sollten insbesondere jungen Künstler:innen mit und ohne Familien als Wohnraum dienen. Doch auch mit der neuen Ausrichtung waren nicht alle Probleme gelöst. Ein 1957 ausgelobter Wettbewerb für die neuen Siedlungshäuser brachte keine umsetzbaren Ergebnisse. Das Projekt stand für mehrere Jahre still, bis 1963 eine Gruppe Darmstädter Architekten gefunden wurde, die zusammen die Gebäudekomplexe im Ludwig-Engel-Weg entwickelten. Die in drei Bautypen aufgeteilten Gebäude wurden 1967 fertiggestellt. Damit endete auch die Bautätigkeit im Kontext der Neuen Künstlerkolonie.
Als sich der Verein »Neue Künstlerkolonie Rosenhöhe« 1974 auflöste, fielen die Wohnhäuser an die Stadt Darmstadt. Sie werden bis heute an talentierte Kunstschaffende aller Sparten vermietet. Die Neue Künstlerkolonie soll als Heimat Kunstschaffender und künstlerisch Tätiger lebendig bleiben. Diesem Ziel folgt auch die Unterbringung des Vereins »Kultur einer Digitalstadt e.V.« im Haus Ludwig-Engel-Weg 1, das zum »Bautyp B« zählt. Es wurde zuvor von Schriftsteller Georg Hensel mit seiner Familie bewohnt. Zusammen mit zwei weiteren Häusern wurde das Gebäude von Architekt Rolf Prange ausgeführt. Die Gebäude dieses Bautyps bestehen aus zwei freistehenden Gebäudeteilen – einem Ateliergebäude und einem Wohntrakt – sowie einem kleinen Hof, der als Freiluftarbeitsfläche gedacht war. Die Einheiten bieten bis heute viel Raum für kreatives Schaffen, Leben und Erfahren.
Kultur einer Digitalstadt – ein neuer Darmstädter Markstein
Ein Text von Prof. Dr. Ludger Hünnekens,
Kulturreferent und Bereichslead Kultur der Digitalstadt Darmstadt GmbH
Es war ein epochaler Schritt in die Moderne von Kunst, Architektur, Handwerk und deren Verbindung untereinander als Großherzog Ernst Ludwig um 1900 in Darmstadt die Künstlerkolonie ins Leben rief. Ihre materiellen Hinterlassenschaften erheben heute zu recht den Anspruch auf ein Welterbe. Und 120 Jahre später erinnern wir uns wieder an sein geradezu zeitloses Credo »Habe Ehrfurcht vor dem Alten und Mut, das Neue frisch zu wagen.«
Der Reflex auf die Geschichte also, auf technische Innovationen und neue Ausdrucksformen in den Künsten, ebenso wie die Reaktion auf neue gesellschaftspolitische Fragestellungen und Herausforderungen und schließlich die Kritik der aktuellen Gegebenheiten von Zeitgeist und Mainstream, sind die Grundlage für die Suche nach einer Neupositionierung der Kultur, einer Kultur in einer Digitalstadt. Darmstadt erscheint prädestiniert zu sein, hierzu Lösungsvorschläge zu formulieren und diesen eine Bühne zu bieten. Denn »Mut, das Neue frisch zu wagen« haben wir in Darmstadt schon oft bewiesen. Nichts dokumentiert dies überzeugender als die Marksteine, die hier die Kultur gesetzt hat: die Künstlerkolonie Ernst Ludwigs, die befreienden Darmstädter Gespräche gleich nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, die »Neue Künstlerkolonie« in der Wirtschaftswunderzeit der 1960er Jahre und heute mit dem Start eines in die Digitalstadt eingebetteten Projektes für den Diskurs und für die Sichtbarmachung dessen, was die zwei Seiten der Digitalitätsmedaille ausmachen.
Es kann auch gar nicht anders sein, als dass die Kultur ein Labor einrichtet, in dem Künstler und Wissenschaftler, Politiker und Kritiker eine Reflexionsebene schaffen, die »das Neue« zu qualifizieren vermag. Schon mit Walter Benjamins »Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (1935) beispielsweise oder Wilhelm Flussers »Universum der technischen Bilder« (1984) oder Peter Weibels aktuellen medienkünstlerischen Experimenten ist bereits eine Reihe theoretischer und praktischer Versuchsanordnungen überliefert, an die sich eine Facette anschließen lässt, für die derzeit im LEW1 (Ludwig-Engel-Weg 1) die entsprechenden Anknüpfungspunkte gesucht werden.
Das ehemalige Atelierhaus dort auf der Rosenhöhe, ein Relikt der »Neuen Künstlerkolonie« in Sichtachse zur Mathildenhöhe, ist ein Labor mit dem gewünschten Potential. Hier soll die Diskussion weitergeführt werden, die sich aus dem Prozess der Digitalisierung für unsere Gesellschaft ergibt – aber weniger im Sinne einer Technikfolgeabschätzung, sondern eher als Korrektiv und Impulsgeber für eine kreative Chancenauswertung. Der Focus liegt also auf kulturellen Fragestellungen und möglichen Antworten. Dass dabei digital generierte Formate der Kommunikation ein neues Selbstverständnis und virtuelle Netzwerke seit Anfang 2020 ein neues »Nah*einander« zur Folge haben, ist zwar aus einer Not geboren aber zugleich auch schon ein signifikantes Indiz für eine neue »Kultur einer Digitalstadt«. Was dies impliziert und wie dies erlebbar wird, zeigen Manifest und Programm des gleichnamigen Vereins – mithin ein Beitrag zur Belebung der alten »Neuen Künstlerkolonie«.
Schnitte © Neue Künstlerkolonie Rosenhöhe in Darmstadt, Arbeitsgemeinschaft Dipl. Ing. Architekten Prange / Kramer, Seidel Hausmann / Kargel, 04.10.1963